Für wenige Kilometer Geländegewinne opfern die Generäle in der «Blutmühle von Verdun» und an der Somme im Jahr 1916 Millionen von Soldaten. Grossbritannien hält die Seeblockade gegen Deutschland weiterhin aufrecht, was zum Tod von Zehntausenden von Zivilisten führt. Der Krieg wird zum Dauerzustand und die Versorgung der Bevölkerung auch in der Schweiz immer schwieriger. Mit Regulierungen und Rationierungen versucht der Staat gegen den zunehmenden Mangel anzukämpfen. Die kriegsbedingten neuen Bundesaufgaben führen zu einem starken Anstieg der Staatsausgaben. Während der Kriegsjahre nehmen diese um rund das Zweieinhalbfache zu. Zur Sicherung der Versorgung mit Lebensmitteln und Rohstoffen werden «Zentralstellen» gegründet. Damit steigt auch der Einfluss organisierter Interessen wie jener der Bauern oder der Industrie auf die Entscheidungen der Regierung.
Der Krieg zeigt Wirkung
Die kriegsbedingten neuen Bundesaufgaben führen zu einem starken Anstieg der Staatsausgaben. Während der Kriegsjahre nehmen diese um rund das Zweieinhalbfache zu. Zur Finanzierung der Kriegskosten führt der Bund eine Kriegssteuer – die heutige direkte Bundessteuer – ein. Zugleich tritt er als Akteur auf dem Finanzmarkt auf und nimmt für 1,3 Milliarden Franken Anleihen auf. Der Personalbestand steigt um mehrere Tausend Beschäftigte an. Mit der Ausweitung der Staatstätigkeit wird die Entwicklung hin zum modernen Interventionsstaat beschleunigt. Die Zentralisierung der Aufgaben bedeutet für die Verwaltung grössere Entscheidungskompetenz und Machtzuwachs. Zur Sicherung der Versorgung mit Lebensmitteln und Rohstoffen werden «Zentralstellen» gegründet wie die Schweizerische Zentralstelle für Einfuhr- und Ausfuhrtransporte (FERO) oder das Eidgenössische Ernährungsamt. Damit steigt auch der Einfluss organisierter Interessen wie jener der Bauern oder der Industrie auf die Entscheidungen der Regierung.
Kriegswirtschaft und Wirtschaftskrieg
Der Erste Weltkrieg ist nicht nur ein mit aller Härte geführter Stellungskrieg, sondern auch ein brutaler Wirtschaftskrieg. Die Kontrolle wirtschaftlicher Ressourcen wird rasch zu einer zentralen Aufgabe der Kriegsführung. Seit 1915 wird der Warenverkehr der Schweiz mit den Krieg führenden Ländern von Überwachungsgesellschaften beider Kriegsparteien kontrolliert. Die Société Suisse de Surveillance Economique (S.S.S.) mit Sitz in Bern und die Schweizerische Treuhandstelle (S.T.S.) in Zürich greifen immer tiefer in die wirtschaftliche Handlungsfreiheit des Landes ein. Parallel dazu steigt in der Bevölkerung der Unmut über «Kriegsgewinnler», Schieber, Wucherer und Spekulanten.
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Neutral von Fall zu Fall
Die vom Bundesrat am 4. August 1914 abgegebene Neutralitätserklärung wird von den Krieg führenden Ländern innerhalb weniger Wochen anerkannt. Dennoch wird die Schweiz in den Wirtschaftskrieg zwischen der Entente und den Mittelmächten hineingezogen, was einen Verstoss gegen die Haager Konvention bedeutet. Die Schweiz muss ausländische Kontrolleure im eigenen Land akzeptieren, die den Handel mit anderen Staaten überwachen. Was als «neutral» gelten kann, ist auch in der Schweiz umstritten, und führt zwischen den Sympathisanten der Mittelmächte und der Entente zu grossen Spannungen und politischen Krisen.
Menschlichkeit und Kalkül
Die Schrecken des Krieges erreichen die Schweiz über Zeitungsberichte, Fotos und Filmaufnahmen sowie Augenzeugenberichte. An einzelnen Grenzabschnitten – etwa im Raum Basel oder im Münstertal – ist das Artilleriefeuer der Front zu hören und nachts zu sehen. Das Wissen um das Leid führt in der Schweiz zu einem grossen humanitären Engagement. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) und der Bund bauen ihre Hilfe massiv aus. Tausende von Schweizerinnen und Schweizern melden sich freiwillig zu verschiedenen Diensten oder unterstützen die Hilfswerke finanziell. Andere begeben sich als Delegierte oder Krankenschwestern ins Ausland. Die humanitäre Hilfe erweitert den aussenpolitischen Handlungsspielraum der Schweiz und stärkt ihr Ansehen im Ausland.
Filmdokument des Imperial War Museum, London: La Suisse joue parme les nations le role du bon samaritain
Fremde unter Beobachtung
Der Erste Weltkrieg ist ein einschneidender Wendepunkt in der Migrationspolitik der Schweiz. Das bis 1914 weitgehend praktizierte System der Personenfreizügigkeit bricht zusammen. Ohne Pass zu reisen, ist jetzt nicht mehr möglich. Die nationalen Grenzen erhalten eine rasch wachsende und nie dagewesene Bedeutung. Die Kriegspropaganda schürt Fremdenfeindlichkeit und Hass, macht Freunde zu Feinden und Ausländer zu einer potenziellen Bedrohung. Die Schweiz reagiert auf die internationale Entwicklung mit einer verstärkten Kontrolle der ausländischen Bevölkerung. Nach der Oktoberrevolution in Russland wird im November 1917 die Eidgenössische Fremdenpolizei gegründet.
Nicht arm und doch nicht satt
Im Winter 1916/1917 werden die Lebensmittel knapp. Die Ernte ist schlecht und der Getreideimport aus den USA bricht wegen des U-Boot-Krieges im Atlantik ab Februar 1917 ein. Teuerungsdemonstrationen nehmen seit 1916 zu. Im März 1917 werden die ersten Lebensmittel rationiert. Doch die bisherige kriegswirtschaftliche Organisation genügt nicht mehr. Die Schweiz steht erstmals in ihrer Geschichte als industrialisiertes Land vor einer Ernährungskrise. Breite Bevölkerungskreise leiden unter Mangel und Hunger. Mit der wachsenden Teuerung steigen die sozialen Spannungen. Die Arbeiterschaft fühlt sich zunehmend ungerecht behandelt. Der Unmut richtet sich gegen Wohlhabende und Bauern. Es kommt zu Anzeigen und ersten Prozessen gegen Wucherer.
Blick ins Ausland 1917
«Ich bin müde. In 14 Nächten sind 13 Männer in meinen Armen gestorben, wie viele es am Tag waren weiss ich nicht.» Schwester Bergmann, «Kriegstagebuchblätter einer Schwester», Mannheim 1930